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Das unbekannte Gegenüber

Können Sie sagen, welches Industrieland oder welches Schwellenland in den vergangenen Jahren die höchste Rendite erwirtschaftet hat?

Zunächst einmal eine Frage, die nicht ganz ernst gemeint ist: Können Sie sagen, welches Industrieland oder welches Schwellenland in den vergangenen die höchste Rendite erwirtschaftet hat? Nicht einmal institutionelle Anleger werden Ihnen diese Frage ad hoc beantworten können.

Die beiden Grafiken unten für die Industrieländer oder entwickelten Aktienmärkte („Developed Markets“) und die Schwellenländer („Emerging-Markets“) zeigen, dass die „Spitzenposition“ im Renditeranking der Länder in vergangenen Jahren (hier gezeigt von 2001–2020) immer wieder gewechselt hat. Auf die Zukunft gerichtet bedeutet dies, dass nicht vorhergesagt werden kann, welches Land welchen Platz in diesen Rankings einnehmen wird, dafür haben sich diese in der Vergangenheit als viel zu volatil erwiesen.

Die beiden Grafiken, jeweils für die entwickelten Märkte und die Schwellenländer, beziehen sich ausschließlich auf die Anlageklasse Aktien, lassen also den für ein Gesamtportfolio so wichtigen Bereich des risikoarmen Anleiheteils außen vor.

Vor diesem Hintergrund ist es dann doch bemerkenswert, dass die allermeisten Analysten, Banken oder gewisse „Fondsgurus“ behaupten, sie könnten in die Zukunft schauen, also vorhersagen, welche Länder besonders gut abschneiden werden. Sollte das wirklich stimmen, dann müssen sie entweder im Besitz einer Kristallkugel sein, mit der sie in die Zukunft sehen können, oder aber über mehr Wissen verfügen als ihr Gegenüber im Aktienmarkt – das sie aber gar nicht kennen können!

Das unbekannte Gegenüber

Wenn Sie einen Vermögensverwalter, der angeblich in die Zukunft sehen kann, danach fragen, von wem konkret er eine bestimmte Aktie ge- oder an wen er sie verkauft hat, wird er Ihnen erwidern, dass er das unmöglich wissen könne, weil er ja die Aktie über die Börse ge- bzw. verkauft hat. Das heißt, im Aktienmarkt gibt es kein konkretes Gegenüber, mit dem man in einen Handel tritt. Stellen Sie diesem „Experten“ dann doch im Anschluss die schelmische Frage, ob er glaube, dass dieses unbekannte Gegenüber, an das er eine bestimmte Aktie für z. B. 50 Euro verkauftoder von dem er sie zu diesem Preis gekauft hat, dümmer oder vielleicht naiver sei als er selbst. Vermutlich wird der Berater Sie erstaunt fragen, warum Sie das wissen wollen und wieso das wichtig sein soll. Daraufhin könnten Sie ihm erwidern, dass es sonst wohl kaum zu dem für ihn vorteilhaften Handel gekommen wäre –  das unbekannte Gegenüber hat sich also über den „Tisch ziehen lassen“ und muss gleichzeitig der Auffassung gewesen sein, es habe klüger gehandelt als der Vermögensverwalter.

Selbst wenn ein Fondsmanager oder Vermögensverwalter  mit seiner Prognose zufällig richtig gelegen und eine Aktie mit hohem Kurspotenzial erworben hat, ist dann allen Ernstes anzunehmen, dass das unbekannte Gegenüber ihm die Aktie verkauft hat, weil es dachte, sie werde im Kurs steigen? Ganz sicher nicht.

Anders verhält es sich weniger informationseffizienten Märkten wie dem Automarkt. Wenn Sie z. B. ein gebrauchtes Auto kaufen möchten, können Sie monatelang bei automobilie.de oder sonst wo so lange suchen, bis Sie vielleicht auf einen Verkäufer stoßen, der so dumm oder naiv ist, Ihnen ein Fahrzeug für z. B. 2.000 Euro unter dem heutigen Marktwert zu verkaufen, weil er keine Ahnung hat, dass er mehr dafür verlangen könnte.

Auf dem Aktienmarkt wird Ihnen so etwas schon deswegen nicht passieren, weil Sie schlichtweg nicht wissen, an wen Sie verkaufen. Sie können sich also keinen „dummen“ Käufer oder Verkäufer heraussuchen. Deshalb finden ich wir es witzig bis absurd, dass aktiv managende Vermögensverwalter oder auch Privatanleger ernsthaft glauben, sie könnten in einem informationseffizienten Kapitalmarkt, wo man sich den Handelspartner nicht aussuchen kann, stets schlauer handeln als der unbekannte Andere.

Jeder aktive Aktien-Trade (typischerweise wird eine Transaktion öfter von einem institutionellen Anleger als von einem Privatanleger veranlasst) geht von folgendem (falschen) Szenario aus: Auf der einen Seite sitzt ein Verkäufer, der die Aktie für überbewertet hält, und auf der anderen ein Käufer, der genau das Gegenteil vermutet. Das heißt, für jeden Käufer, der der Aktie eine Outperformance zutraut und sie deshalb für kaufenswert hält, muss es einen Verkäufer geben, der exakt der gegenteiligen Auffassung ist. Wäre dies nicht der Fall, käme der Trade nicht zustande. Ein aktiver Anleger glaubt generell gern, er wäre schlauer als sein Gegenüber – was für eine Hybris!

Diese Hybris aktiver Vermögensverwalter bricht sich gegenüber Kunden dann Bahn, wenn sie diesen bei jeder Transaktion (kaufen/verkaufen) mitteilen, sie hätten diesmal oder schon wieder das tollste Produkt, die optimale Strategie oder den perfekten Fondsmanager gefunden. In der Regel wollen sie ihren Kunden aber häufig etwas nur andrehen, weil sie schlichtweg finanziellen Anreizen unterliegen. Womöglich überschätzen sie sich auch selbst, oder es ist einfach eine Mischung aus beidem.

Mit diesem Blog-Beitrag stellen wir uns nicht gegen seriöse Prognosen von interessenkonfliktfreien Volkswirten oder VWL-Professoren, wie sie z. B. im Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung oder in den Veröffentlichungen führender Wirtschaftsforschungsinstitute getroffen werden. Deren Beobachtungen und Einschätzungen nehmen wir in unserer Arbeit sorgfältig zur Kenntnis. Links liegen lassen wir aber kurz- und mittelfristige Prognosen von solchen selbsternannten Experten oder Institutionen, die mehr oder weniger offensichtlich Kapital daraus schlagen wollen, indem sie die Unsicherheit oder Wunschvorstellungen von Menschen ausnutzen, sei es um ihnen gewisse Finanzprodukte anzudrehen, sei es um als Buchautor auf der Bestsellerliste zu landen, sei es, um sonst wie davon zu profitieren.

Fazit: Sicher ist, dass man sowohl die jährlichen „Gewinner“ als auch „Verlierer“ unter den Asset-Klassen ex ante nicht prognostizieren kann. Sollte sich die Prognose im Nachhinein doch als richtig herausstellen, so ist sie purem Glück oder Zufall zu verdanken. Kapitalmärkte sind die besten/fairsten Preisschätzer, weil sie das kollektive Wissen von Millionen von Investoren zusammenfassen. Es ist klüger und weniger riskant, auf das Wissen des gesamten Kapitalmarkts zu vertrauen als darauf, dass ein Einzelner eine richtige Prognose oder Einschätzung trifft.